Naturwissenschaftliche Methode

Begriffe: erkenntnisleitendes Interesse, Hypothesenbildung, Verifikation, Falsifikation, methodologischer Atheismus, Deduktion, Induktion, Theorie, Gesetz, Weltbild, Grenzüberschreitung

Vorbemerkung
Grundsätzlich müssen wir von einer Vieldimensionalität und Komplexität der Wirklichkeit ausgehen. Dabei wird Wirklichkeit immer nur sehr partikular (also teilweise) wahrgenommen. Menschen können eigentlich niemals die ganze Wirklichkeit in all ihren Facetten erfassen. So kann etwa der "Gegenstand" Baum aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln und aus unterschiedlichem Interesse betrachtet werden. Mit der biologischen Wahrnehmung kann man den Baum klassifizieren, sein Wachstum analysieren, die Photosynthese wissenschaftlich untersuchen oder die Bedeutung des Baumes als Sauerstofflieferant betrachten. Der Baum kann allerdings auch als Symbol des Lebens gesehen werden, als Rohmaterial für die Holzwirtschaft betrachtet werden, zu einem Gedicht oder Lied (Mein Freund der Baum...) inspirieren oder als Zeichen der Treue oder der Freude über ein Ereignis Bedeutung erlangen (Friedenslinden...).
Im Allgemeinen gibt es für jegliche Wahrnehmung der Wirklichkeit zwei unterschiedliche Zugänge. Der naturwissenschaftliche Zugang oder der geisteswissenschaftliche oder hermeneutische Zugang. Der naturwissenschaftliche Zugang liefert Einzelheiten, Kausalitäten, Abhängigkeiten und Wissen zu einem Teilbereich der Wirklichkeit, der geisteswissenschaftliche Zugang versucht die Einzelheiten und Fakten in einem größeren Sinnzusammenhang zu verstehen und einzuordnen.

Naturwissenschaftliche Methode
Die Naturwissenschaft kann nur Bereiche der Wirklichkeit erfassen, die messbar sind, die kausal (also mit einem Ursache-Wirkung-Schema) erklärbar sind, die wiederholbar und vorhersagbar (prognostizierbar) sind und grundsätzlich (bei gleichen Bedingungen) von jedem und jederzeit nachprüfbar sind. Sie haben also intersubjektive Gültigkeit und sind nicht von dem betrachtenden und beobachtenden Subjekt abhängig. In diesem Sinne können naturwissenschaftliche Erkenntnisse tatsächlich als "objektiv" bezeichnet werden.
Als weitere Voraussetzung der Naturwissenschaft muss der "methodologische Atheismus" genannt werden. Das bedeutet, dass die Naturwissenschaft so arbeitet, dass sie Gott oder ein transzendentes Wesen methodisch ausschließt bzw. nicht berücksichtigt.
1. Schritt: Von der Beobachtung zur Hypothesenbildung
Die Naturwissenschaft geht zunächst von Beobachtungen aus, die gezielt angestellt werden. Mit ersten Experimenten oder Tests werden Daten gesammelt, um die durch Beobachtung angestellte Vermutung zu untermauern. Auf dem Wege der Induktion (vom Einzelfall auf das Ganze, die Gesetzmäßigkeit schließend) bildet der Naturwissenschaftler eine Hypothese. Sein erkenntnisleitendes Interesse zeigt sich dabei in der Beobachtung des "Ausschnitts" oder Teilbereichs der Wirklichkeit, dem eben sein besonderes Interesse gilt und in der Hypothesenbildung, die er (der Naturwissenschaftler) gerne bestätigt sähe.
2. Schritt: Die Hypothesenprüfung: Falsifikation oder Verifikation
Die Hypothese wird nun in einer angemessenen Anzahl von Versuchen überprüft. Zuvor wurde genau geprüft, welche Möglichkeiten sich für den zu untersuchenden Teilbereich der Wirklichkeit (z. B. Fallgesetze: innerer Antrieb der Körper oder Gravitation oder andere Regelmäßigkeit; Zielsetzung: Erarbeiten des Zusammenhangs von Gewicht, Größe, Form, Fallstrecke usw.) ergeben. Der Vorgang, dass man von der angenommenen Allgemeingültigkeit der Hypothese auf Einzelfälle schließt, wird Deduktion genannt.
Die Schlüsse aus der Hypothese, also die aus der als allgemein gültig angenommenen Annahme der Hypothese abgeleitete Daten, werden im messenden Experiment, also empirisch, überprüft. Erweist sich die Hypothese auch nur in einem Fall oder einem Experiment als falsch, dann muss die Hypothese entweder zurück genommen werden oder modifiziert werden oder eine neue Hypothese aufgestellt werden. Wenn sich eine Hypothese als falsch erweist, wird dies als Falsifikation bezeichnet. Bestätigen die Experimente die Hypothese wird diese verifiziert, es ist also eine Verifikation der Hypothese.
3. Schritt: Bildung der Synthese (nach der Analyse im Experiment) und Feststellung einer Gesetzmäßigkeit, die zu einer Theorie und schließlich zu einem Weltbild führt.
Wenn die ursprüngliche Hypothese unter unterschiedlichsten Bedingungen sich immer wieder bestätigt, also verifziert wird, kann sie in den Status eines Naturgesetzes erhoben werden. Mehrere Gesetze zusammen bilden die Grundlage für eine naturwissenschaftliche Theorie und ein entsprechend naturwissenschaftliches Weltbild. Allerdings hat sich in der Geschichte der Naturwissenschaft gezeigt, dass auch naturwissenschaftlich objektive Gesetze nicht immer auf Dauer Gültigkeit haben bzw. in größeren Bezugssystemen wieder relativiert werden.
So relativiert im besten Sinne des Wortes auch die Einstein'sche Relativitätstheorie letztlich die als das Beispiel naturwissenschaftlicher Erkenntnis schlechthin angesehenen Fallgesetze Galileo Galileis.

Grenzen des naturwissenschaftlichen Zugangs
Wie oben bereits aufgeführt, kann die Naturwissenschaft letztlich nur dann Aussagen machen, wenn ihr Gegenstand messbar ist, kausal erklärbar ist, wiederholbar und vorhersagbar ist. Wenngleich zum Beispiel die Erklärung der Weltentstehung durch den "Urknall" selbstverständlich eine naturwissenschaftliche Erkenntnis ist, können für diesen nicht ohne weiteres alle diese Bedingungen gelten. So spricht man dann auch im Zusammenhang mit der Hypothese (mehr ist es nämlich noch gar nicht) vom Urknall von einer "naturwissenschaftlichen Singularität".
Festzuhalten bleibt, dass der naturwissenschaftliche Zugang trotz der enormen Verdienste, die diese Herangehensweise an die Wirklichkeit für die Menschheit erbracht hat, nicht die ganze Wirklichkeit erfassen kann.
So können naturwissenschaftliche Erkenntnisse nur das "Wie" eines Vorgangs beschreiben und erklären, niemals das "Dass" überhaupt etwas geschieht, bzw. "Warum" letzlich etwas ist und nicht nichts.
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Ethische und politische Entscheidungen und Fragestellungen kann die Naturwissenschaft nicht beantworten.
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Über einmalige und sehr individuelle Sachverhalte und Empfindungen kann die NW keine Aussagen treffen, wenngleich etwa Phänomene wie Liebe, Hass, Sympathie, Schönheitsempfinden, Trauer, Freude usw. immer wieder mit biologischen Vorgängen oder Experimenten, etwa im Zusammenhang mit der Hirnforschung, erklärbar gemacht werden sollen.
- Bei Sinn- und Lebensfragen hilft die NW nicht weiter. Beispiele: Welchen Sinn hat mein Leben; warum sind Menschen ehrlich und hilfsbereit oder auch nicht, warum erleiden Menschen so viel Not und Elend, andere wiederum werden vollkommen verschont davon.
- Schließlich versagt die Naturwissenschaft auch völlig bei Fragen der Ästhetik, der Kunst, der Religiosität, auch im Bereich der Literatur oder der Musik und auch in der Erklärung dessen, was der Mensch ist, wenngleich es selbstverständlich auch eine Disziplin der "biologischen Anthropologie" (also Lehre vom Menschen) gibt, die allerdings ergänzt werden muss durch philosophische oder theologische Anthropologie.
Karl Jaspers hat die Grenzen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis folgendermaßen beschrieben: "Wissenschaftliche Sacherkenntnis ist nicht Seinserkenntnis. Denn alle Wissenschaft ist partikular, auf bestimmte Gegenstände und Aspekte, nicht auf das Sein selbst gerichtet. Wissenschaftliche Erkenntnis vermag keine Ziele für das Leben zu geben. Je klarer sie über sich selbst wird, um so entschiedener verweist sie auf einen ihr unzugänglichen anderen Ursprung, auf unsere Freiheit." (zitiert nach: Johannes Kaiser, Abiturtraining, Kath. Religion 2, S. 9). So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass viele bedeutende Naturwissenschaftler über ihre Forschungen zur Einsicht gelangen, dass wohl über dem empirisch Wahrnehmbaren letztlich ein "ordnender Geist" steht. Diese Ahnung einer Transzendenz, die unsere raum-zeitliche Wirklichkeit übersteigt, wird bei vielen Naturwissenschaftlern immer mehr zur (nicht verifizierbaren oder falsifizierbaren) Gewissheit, je mehr sie in ihren Forschungen voranschreiten.
Wollte die Naturwissenschaft für sich beanspruchen, auch in diesen Bereichen letztgültige, nachprüfbare und messbare Erkenntnisse zu gewinnen, würde sie eine so genannte "Grenzüberschreitung" begehen. Diese Grenzüberschreitung gibt es und gab es, allerdings auch von Seiten der Theologie oder Philosophie. Lange Zeit hat etwa die Theologie den Anspruch erhoben, die Entstehung der Welt mit dem 6-Tage-Schöpfungswerk eben auch naturwissenschaftlich erklären zu wollen (vgl. heute noch den Ansatz der Kreationisten, etwa in den USA).

Naturwissenschaftliche Erkenntnis hat die Welt verändert, da sie fast immer auch in technische Anwendung mündet. Diese Technisierung hat das Leben in vielen Bereichen erleichtert (Motorisierung, Energiegewinnung...). Krankheiten können durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse geheilt oder gelindert werden, wenngleich auch im Bereich der Medizin gilt, dass sich zusehends eine Entwicklung von der partikular auf das Krankheits-Symptom ausgerichteten "Schulmedizin" hin zu ganzheitliche Methoden zeigt. 

Literatur:
Johannes Kaiser, Abiturtraining Kath. Religion 2, Freising 1998, Seite 6 - 10
Peter Kliemann, Glauben ist menschlich. Argumente für die Torheit vom gekreuzigten Gott, Stuttgart, 10. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage 2001, Seite 51 - 54

Stand: Juni 2004