Grundvollzüge der Kirche
Die Kirche kennt drei Grundvollzüge oder Grunddienste, in denen sie sich im
Auftrag Jesu versteht und in der einzelnen Gemeinde und als Weltkirche
handelt. Anders ausgedrückt: Die Aufgabe der Kirche und der Christen ist es,
von der Frohbotschaft Zeugnis zu geben (Martyria oder Verkündigung), das
Gedächtnis Jesu zu feiern und die Menschen im Alltag und an den „Knotenpunkten
des Lebens“ zu stärken (Liturgia) und schließlich die konkrete
Nächstenliebe spürbar und erfahrbar zu machen (Diakonia).
Die Sendung und Aufgabe der Kirche wird erst dann ich rechter Weise
verwirklicht, wenn die an Jesus Christus Glaubenden (also die Christen) dies
in Gemeinschaft tun und auf Gemeinschaft hin entwickeln. Der „geschwisterliche“
Umgang der Menschen betrifft alle Grunddienste der Kirche. In der
theologischen Fachsprache wird dieser Gemeinschaftsauftrag „Koinonia“
genannt. Diese Koinonia oder Communio wird etwa auch dadurch deutlich, dass
die Kirche nicht nur Kirche der Amtsträger ist, sondern alle an der Communio
Anteil haben sollen (also Klerier und Laien). So sind seit dem II.
Vatikanischen Konzil auch wieder vermehrt demokratische Strukturen und
Gremien, also sogenannte "synodale Elemente" in der Kirchenstruktur
wiederbelebt worden, z. B. Kirchengemeinderäte, Dekanatsräte, Diözesanräte
oder etwa das Zentralkomittee der Deutschen Katholiken (ZdK), das sich als
Verband der Laien in der katholischen Kirche versteht und immer wieder
zukunftsweisende Impulse für die kirchliche Entwicklung (z. B. in Fragen der
Ökumene) einbringt.
Martyria
Unter Martyria versteht man die Verkündigung und das Bekenntnis der
Frohbotschaft (wie der Begriff Evangelium übersetzt heißt) Jesu. Martyria
heißt übersetzt Zeugnis geben. So sind die Märtyrer, die für ihre
Überzeugung bis in den Tod gingen, Zeugen ihres Glaubens. Die Aufforderung,
Zeugnis von seinem Glauben zu geben, ist dabei nicht nur Privatsache, sondern
immer auch gemeinsame Überzeugung der Christenheit. Wenn auch heute nicht
mehr der Tod droht (zumindest in Europa...), wenn man sich als Christ bekennt,
so hat man dennoch u. U. auch Spott, Häme, Unverständnis und vielleicht
sogar Ablehnung zu ertragen. Manchmal muss man sich gar für seine
Überzeugung „zum Narren machen“. Eines jedenfalls scheint gewiss. Wenn in
unserer Zeit sich jemand als Christ bekennt, erfordert dies zumindest Mut,
weil es eben nicht immer und überall auf hohe Wertschätzung stößt.
An verschiedenen Stellen der
Bibel werden die Gläubigen aufgefordert, Zeugnis zu geben und andere für
Jesus Christus und das Evangelium vom Reich Gottes zu begeistern. So werden
die Gläubigen im Ersten Petrusbrief aufgefordert: „Seit stets bereit, jedem Rede und
Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Petr
3,15b).
Auch im so genannten „Missionsbefehl“ im Matthäus-Evangelium fordert der
auferstandene Jesus die Jünger auf: „Darum geht zu allen Völkern, und
macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und
des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles zu befolgen, was ich
euch geboten habe“ (Mt 28, 19f). Ähnlich ist die Aufforderung Jesus zu
verstehen, die im Matthäus-Evangelium überliefert ist (Mt 10, 6 - 18), wo
die Jüngerinnen und Jünger Jesu aufgefordert werden, die Lebensweise Jesu zu
übernehmen und an seiner Verkündigung mitzuwirken. Nachfolge Jesu bedeutet
also immer auch konsequentes Zeugnis und Eintreten für die "Sache
Jesu", die das Reich Gottes ist. Jesus selbst prangerte soziale
Ungerechtigkeiten an, setzte sich über verkrustete Gesetzesvorgaben hinweg
und forderte, dass das Gesetz für den Menschen da sein solle
Der Auftrag zur Verkündigung, der sich aus dem Bekenntnis zu Jesus Christus
ergibt, kann in vielfältiger Weise geschehen:
- in der Weitergabe des Glaubens (Erziehung, Religionsunterricht...), aber
auch in der Kunst und im "Vorleben" des Glaubens, der das Leben
prägt und stützt
- in der Predigt im Gottesdienst, aber auch in den Medien (Rundfunk,
Fernsehen)
- in der Vorbereitung auf die Feier der Sakramente (Taufe, Erstkommunion,
Firmung)
- in der Bibelarbeit, der Erwachsenenbildung
- aber auch im Alltag, wenn etwa aktuelle gesellschaftspolitische Themen
diskutiert werden und Christen sich auf die in der Bibel grundgelegten
ethischen Maßstäbe (vgl. 10 Gebote, Gottes- und Nächstenliebe, Mensch als
Ebenbild Gottes) beziehen und diese Überzeugung auch in ihrem Leben
"transparent" machen oder durch Übernahme politischer Ämter,
in denen man dann aus seiner christlichen Überzeugung auch kein Hehl macht
- von Seiten der „offiziellen“ Vertreter der Kirche, also Papst,
Bischöfen, Priester in Hirtenschreiben, päpstlichen Lehrschreiben
(Enzykliken), öffentlichen Stellungnahmen zu Fragen der Gesellschaft).
So gehört es zur Aufgabe der Kirche, aus der Überzeugung als Christ auch in
der Gesellschaft Position zu beziehen. Nicht um alles zu verdammen, sondern um
dort aufzustehen, wo der Mensch in seiner Gottebenbildichkeit bedroht ist. Die
Kirche hat den Auftrag des Dienstes an der Welt, manche fordern gar von der
Kirche, dass sie ein „Wächteramt“ ausüben solle und sich dort zu Wort
melden solle, wo Gerechtigkeit, Friede, Solidarität und Menschenwürde
bedroht sind.
Zur Martyria gehört allerdings auch das Bekenntnis des Glaubens. Dieses hat
sich im Laufe der Kirchengeschichte in Dogmen (kirchlichen Lehrsätzen)
konkretisiert. Meistens sind diese Dogmen in Anlehnung an die
frühchristlichen Hymnen, also Kurzformeln des Glaubens in Auseinandersetzung
mit und Abgrenzung zu Häresien (=Irrlehren) entstanden und dadurch fast schon
naturgemäß zeitgebunden. So erscheinen manche dieser Dogmen starr und nicht
mehr zeitgemäß. Und dennoch sind diese Überzeugung der Kirche,
Glaubenskonkretionen, die immer wieder neu in die Sprache und den
Verstehenshorizont der Menschen „übersetzt“ werden müssen
(Hermeneutik!). Die Theologie hat so gesehen auch die Aufgabe der Martyria.
Das Bekenntnis, das Zeugnis der Kirche und der Christen müsste sich dann auch
auf deren Lebensgestaltung auswirken. So hat einmal Friedrich Nietzsche
gefordert: „Die Christen müssten erlöster aussehen, wenn ich an ihren
Erlöser glauben soll.“ Vielleicht hatte er gar nicht so unrecht mit seinem
dezenten Hinweis. Frohbotschaft müsse eigentlich tatsächlich auch froh
stimmen...
Liturgia (oder Leiturgia)
Unter Liturgia versteht man die Feier des Gedächtnisses von Leben,
Sterben und Auferstehung Jesu Christi. In der Eucharistiefeier, dem Höhepunkt
der Liturgie, wird diese Gedächtnisfeier gar zur erfahrbaren Wirklichkeit,
wenn Brot und Wein in der Wandlung zu Leib und Blut Christi werden. In der
katholischen Theologie wird dies als „Transsubstantiation“ bezeichnet, das
heißt das Brot und Wein in eine andere „Wesenheit“ übergehen. Für viele
Menschen ist in der Eucharistie mittlerweile allerdings der Gedanke der Feier
der Gemeinschaft, des gemeinsamen Mahls, entscheidender als die theologische
Frage nach der Transsubstantiation.
Liturgie, die Feier des Gottesdienstes, war für die ersten Christen zunächst
das gemeinsame Mahl. Diese Tischgemeinschaft war Erinnerung an Jesu
Tischgemeinschaften und an die Feier des letzten Abendmahles (vgl. dazu Mk 14,
17-25 par; Apg 2,43-47). Die Tischgemeinschaft ist Zeichen dafür, dass sich
die Menschen annehmen, dass jeder, der daran teilnimmt als Person angenommen
ist, zudem Zeichen dafür, dass die Menschen alles miteinander teilen. Jesus
selbst verstand seine "Sündermahlzeiten" als Zeichenhandlung für
Versöhnung, Heilung und Gemeinschaft aller. Gottesdienst (Leiturgia) und
insbesondere die Eucharistiefeier werden so "Quelle und Höhepunkt des
ganzen christlichen Lebens" (vgl. II. Vaticanum, Lumen gentium 11). Im
Gottesdienst tritt die Gemeinschaft der Glaubenden aus dem Alltag heraus und
macht das Leben für die Wirklichkeit Gottes erfahrbar. Der Gottesdienst
gewinnt so Heil spendende Wirkung für die Gläubigen.
Neben der „Hochform“ der Eucharistie gibt es allerdings im Christentum
noch viele anderen Formen der Liturgie: das persönliche und gemeinschaftliche
Gebet, Andachten, Wortgottesdienste, Meditationen, Wallfahrten usw.
Liturgie bedeutet auch die Feier der Sakramente. Sakramente werden dabei als
„sichtbare und erfahrbare wirksame Zeichen der heilenden Nähe Gottes“
verstanden. Die katholische Kirche kennt neben der Kirche, die zuweilen auch
als „Grundsakrament“ bezeichnet wird, sieben Sakramente: Taufe,
Eucharistie, Firmung, Ehe, Priesterweihe, Buße und die Krankensalbung. Die
Sakramente werden an die „Knotenpunkten“ des Lebens gespendet, also in „Krisenzeiten“
des Lebens, wenn sich neue Orientierungen ergeben. So wird die Taufe als „Geschenk“
schon dem Kleinkind oder Säugling gespendet. In der Pubertät bestärkt die
Firmung die Taufe. Sakramente sollen verdeutlichen, dass der Mensch an diesen
Knotenpunkten des Lebens nicht allein gelassen wird, sondern dass Gott den
Menschen gerade in diesen Situationen nahe ist (Krankheit – Krankensalbung;
Gründung einer Familie – Ehesakrament; Erfahrung von Schuld –
Bußsakrament). Nach kirchlichem Verständnis ist Jesus Christus selber der
eigentliche Spender der Sakramente. Der Priester oder – wie beim
Ehesakrament – die Ehepartner sind quasi Mittler bei der Sakramentenspendung.
Diakonia
Ein dritter Grundvollzug der Kirche oder kirchlichen Handelns ist die
Diakonia, der Dienst am Notleidenden, am Nächsten, oftmals auch als
"Geschwisterdienst" bezeichnet. Für Jesus ist dieser
Dienst am Nächsten unmittelbar mit dem Bekenntnis zu ihm selbst, gar mit
seiner Person verbunden. „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan
habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40b). Immer wieder wird im Neuen
Testament auf die konkreten Anforderungen der Diakonie hingewiesen. Im
Matthäus-Evangelium wird an der Stelle, wo Jesus vom „Weltgericht“
spricht, gar der Dienst am Nächsten zum Auswahlkriterium dafür, wer von Gott
gesegnet sein wird und gerettet werden wird: Hungernden zu essen geben,
Dürstenden zu trinken geben, Obdachlose aufnehmen, Kranke und Gefangene
besuchen, Nackte bekleiden sind die Forderungen an die Menschen (vgl. Mt 25,
41-46).
Jesus selbst zeigt in seiner Botschaft und in seinem Handeln, dass das Reich
Gottes über alle sozialen Schranken hinweg allen Menschen gilt. Er wendet
sich in besonderer Weise denen zu, die als Außenseiter gelten, den Kranken
und Armen, den Schwachen und Sündern. Auffallend ist, dass die Verkündigung
des Reiches Gottes durch Jesus nicht nur auf die Zukunft ausgerichtet ist,
sondern schon im "irdischen Leben" Raum greifen soll. So sind die
Krankenheilungen und "Wunder" als Zeichen des Reiches Gottes zu
verstehen. Jesus selbst zeigt in der Fußwaschung (Joh 13, 1-20), dass für
ihn die Tätigkeit, die eigentlich Sklaven zugedacht war, zentrales Element
der Nachfolge ist. Dienst am Nächsten wird so geradezu zum Erkennungszeichen
für Christen.
Neben dem "Apostolat", also der Sendung zur Verkündigung des
Evangeliums hat die Kirche schon sehr früh das Amt des Diakons (vgl. Apg 6)
eingeführt, das wie alle Ämter durch Gebet und Handauflegung übertragen
wurde (Apg 6, 6).
Die Kirche versucht diese Forderungen mit ihren Hilfswerken wie z. B. Caritas
(kath. Organisation) und Diakonie (evangelische Organisation) oder Misereor
(kath.) und „Brot für die Welt“ (evang.) nachzukommen. Zum Grundauftrag
der Diakonie gehört aber auch die Seelsorge in Kindergärten, Jugendarbeit,
Nachbarschaftshilfe, Altenarbeit, Besuchsdienste und Hospizarbeit (Begleitung
Sterbender). Vieles geschieht
dabei in den Gemeinden und wird von Menschen in ehrenamtlicher Arbeit im
Auftrag der Gemeinde getan.
Daneben gibt es eben auch bedeutende Hilfsorganisationen, die von der Kirche
getragen werden. So zum Beispiel Misereor.
Misereor, was so viel bedeutet wie „Ich erbarme mich“, wurde 1958
gegründet und wollte ursprünglich den Hunger und Aussatz in der Welt
bekämpfen. Dabei wurde das Gesundheits- und Bildungswesen in den
Entwicklungsländern besonders gefördert. Heute liegt der Schwerpunkt der
Arbeit vor allem auf der Bekämpfung der Ursachen der Not, weil
die kurzfristige Linderung der Symptome nicht langfristig angelegt war.
So werden vielfach Projekte gefördert, um die Selbstversorgung der Menschen
zu verbessern. Angepasste Maschinen und Technologien werden dabei bevorzugt.
Zudem werden Kommunikationszentren, etwa für die Bewohner von Slums gebaut,
die als Begegnungs-, Bildungs- und Gebetsstätten dienen.
Misereor will also durch die Förderung der Eigeninitiative der Menschen den
Dienst am Not leidenden Menschen effektiv und tragfähig organisieren. Große
Sammlungen in den „reichen Kirchen“ dienen der Finanzierung der Arbeit von
Misereor, wie auch anderer Organisationen.
Die diakonische Aufgabe der Kirche in Deutschland selbst wird – auf
katholischer Seite – durch die Caritas organisiert. Diese unterhält
verschiedene Dienste und Beratungsstellen, um Menschen Unterstützung zu geben,
dass sie möglichst eigenständig ihre Situation meistern.
Die kirchlichen Dienste versuchen immer wieder, neue Herausforderungen an die
Sozialarbeit zu meistern. So sind derzeit etwa auch Integrationsarbeit von
Aussiedlern oder Ausländern zentrale Aufgaben, Schuldnerberatung, wie oben
erwähnt Hospizarbeit oder Projekt für (Langzeit-)Arbeitslose im
Aufgabenkatalog der Organisationen.
Die Bedeutung der Diakonie kann auch daran gesehen werden, dass diese in der
Öffentlichkeit noch immer hohe Wertschätzung erfährt.
Wie sehr alle drei Grundvollzüge miteinander verwoben sind, sei nur an einem Beispiel aufgezeigt. Die Martyria, also das Bekenntnis des Glaubens, wirkt nach allgemeiner Einschätzung dann am überzeugendsten, wenn sie sich als "Zeugnis ohne Worte", also im konkreten Lebensvollzug und im Engagement für Andere konkretisiert. Martyria und Diakonia sind allerdings immer auch auf die Koinonia, also die Gemeinschaft (die zuweilen auch mit dem Begriff der Communio bezeichnet wird) angewiesen. Diese Gemeinschaft der Menschen untereinander und mit Gott wird am intensivsten in der Liturgia, im Gottesdienst und vor allem in der Eucharistiefeier spürbar und wirksam.
überarbeitet: Stand Februar 2004
um
seine Arbeit heute zu tun.
Er hat keine Füße, nur unsere Füße,
um Menschen auf seinen Weg zu führen.
Christus hat keine Lippen, nur unsere Lippen,
um Menschen von ihm zu erzählen.
Er hat keine Hilfe, nur unsere Hilfe,
um Menschen an seine Seite zu bringen.
Wir sind Gottes letzte Botschaft,
in Taten und Worten geschrieben.
Und wenn die Schrift gefälscht ist,
nicht gelesen werden kann?
Wenn unsere Hände mit anderen Dingen
beschäftigt sind als mit den seinen?
Wenn unsere Füße dahin gehen,
wohin die Sünde zieht?
Wenn unsere Lippen sprechen,
was er verwerfen würde?
Erwarten wir, ihm dienen zu können,
ohne ihm nachzufolgen?
Gebet
aus dem 14. Jahrhundert.